„Introvertiert = unsichtbar“ – Lukas schäumte immer noch vor Zorn, wenn er an das letzte Meeting dachte. Und er ärgerte sich über sich selbst. „Eigentlich wusstest du genau, was auf dich zukommt. Dieser Oberflächenvergrößerer mit seiner pseudo-intellektuellen Lockerheit!“
Jedes Mal, wenn ihm Chris vor dem inneren Auge auftauchte, lief er innerlich wieder hoch.
Seine Art, lächelnd in der Mitte zwischen den Teilnehmern auf und ab zu gehen, sein betont legerer Umgang mit Details seiner Kleidung – für ihn war dieses Getue affig.
„Wie Ludwig der IV. Ich will nicht wissen, wie oft er das geübt hat – unser Möchtegern King of cool. Die Hälfte seiner Inhalte bestehen aus Phrasen und zusammen geklautem Wissen der anderen.“
Lukas nahm sich innerlich fest vor, nie so zu werden – und weiterhin auf Inhalte statt auf Show zu setzen. „Wenn da nicht dieses Projekt wäre,… In zwei Wochen muss die Präsentation so sein, dass sie zündet. Warum habe ich nur nicht mehr Charisma?“
Ist Charisma wirklich der Zünder?
„Stille Wasser gründen tief“ – so umschreibt ein beliebtes Sprichwort die Stärken der eher zurückhaltenden Menschen. Der Hinweis auf enorme Ressourcen, die sich in eher Schweigsamen befinden, scheint jedoch allmählich zu verstummen: Im Zeitalter des Social-Media-Hypes geht der Sieg automatisch an den „Lautstarken“. Wirklich?
Introvertiert. Das andere Wort für „unsichtbar“?
„Ich bin introviertiert“, ist ein Satz, der oft zu hören ist. Dabei klingt diese Aussage eigentlich nie neutral. Eher kommt sie einer leisen Erklärung gleich – wie eines der großen ungelösten Rätsel der Menschheit. Ausgesprochen wird diese meist in einem etwas zögerlichen Ton – mitunter sogar mit einem Anklang der Entschuldigung. Ganz früher, lange vor der Erfindung von Facebook & Co., da hatte der Linkshänder ein Abonnement auf diesem Tonfall.
„Introvertiert“ – der Indikator für soziale Sehstärke
Es mutet seltsam an: Im Zeitalter des Diversity-Bewusstseins gibt es immer noch viele Menschen, die fast das Bedürfnis haben, sich zu rechtfertigen. Zu dieser Gruppe gehören oft auch Menschen, die introvertiert sind. Früher eine normale Charakter-Eigenschaft, ist das Introvertiert-Sein heute in der Wahrnehmung vieler Menschen eine Klippe auf dem Weg zum beruflichen Erfolg geworden. Das ist mehr als nur schade – die eindimensionale Perspektive führt in letzter Konsequenz zu Verlusten.
Introvertiert und Führungskraft? Geht das?
Anders als noch im Industrie-Zeitalter gelten die berühmten „3A“ nicht mehr als geniale Voraussetzung für eine starke Führung. Eher im Gegenteil: Die Eigentschaften „Autoritär, distanziert, ärgerlich“ (Englisch: Authorian, aloof, angry) werden jetzt eher als toxisch wahrgenommen.
„Die stärkste Kraft auf der Welt ist das
Pianissimo.“
Maurice Ravel
Bill Gates, Warren Buffet – wer wollte an ihrer Begabung als Führungskraft zweifeln?
Im Gegenteil – es wird vermutet, dass ihre Introvertiertheit ihnen eher half.
Introvertiert? Erfolgs-kritische Schlüssel-Kompetenzen bringen klare Vorteile
Die Fähigkeiten, zuhören und sich im Hintergrund zu halten, bringen klare Vorteile für eine zeitgemäß gelebte Führungsrolle mit sich. Diese Konstellation fördert die Eigen-Initiative der Team-Mitglieder. Auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit wird gestärkt: Anders als bei einem reinen „Anweisungs-Geber“ wird hier der Boden für eine persönliche Weiter-Entwicklung vorbereitet.
Image-Fail: Beim Cluster der Charakter-Eigenschaften liegen viele falsch…
Beim Wort „introvertiert“ denken viele Menschen automatisch an Schüchternheit und Zögerlichkeit in der Umsetzung. Diese Konnotation trifft jedoch längst nicht bei allen zu.
In einer Zeit, in der „angeklickt“ zu werden und Aufmerksamkeit zu erhalten schon als Erfolg gewertet wird, jubelt mancher für meinen Geschmack zudem ein bisschen früh…
Stille, das ist immer auch der treue Begleiter von Fokussiertheit, Impuls-Kontrolle und einem voraus-schauenden Selbst-Management.
„Be afraid
oft he most silent person in the room.“
„Hüte dich vor der leisesten Person im Raum.“
Dieser Weckruf für allzu Selbstsichere stammt aus dem Zentrum der vermeintlichen Kunst für Lautstärke.
Die Warnung vor der leisen Gefährlichkeit mag für die westliche Denkweise typisch anmuten. Vielleicht sollten wir uns diesen Weckruf insgesamt sehr zu Herzen nehmen:
Heißt es nicht, dass die bis dato vorherrschende Denkweise der westlichen Welt der asiatischen „Denke“ weichen wird?
Introvertiert und hoch-sensibel …
Als würde es noch nicht ausreichen, introvertiert zu sein, kommt für viele Introvertierte auch noch die Thematik der Hoch-Sensibilität hinzu.
Und hier tut sich eine interessante Schere auf: Während Frauen damit irgendwie noch ganz gut „über die Runden kommen“, erleben es viele Männer als unangenehm, hoch-sensibel zu sein.
Introvertiert und disruptiv – ein Widerspruch?
Rich Simmonds, der zu den 20 einflussreichsten Impulsgebern der Wirtschaft gerechnet wird, sieht die sogenannten „Introverts“ sogar als wesentliche Sprungfeder der Disruption.
„Sie denken mehr“ – so seine klar umrissene Erkenntnis. Weiter führt er ihre Vorteile so aus:
„Wenn du disruptiv sein willst, musst du in der Lage sein, über das nachzudenken, worüber du denkt, wenn du denkst.“
Die Todeszone der Ideen…
Diese Perspektive – von Fans der einfachen, schnellen Lösung oft als Nabelschau wahrgenommen- kann allerdings schnell ausgebremst werden: „Hier ist meine Warnung: Die leise feine Stimme kann sehr schnell ins Hintertreffen geraten – wenn diese konstant lautstarken Typen den Mund aufmachen. Also die ohne wirkliche Ideen“, so Simmonds über die Todeszone der Ideen Introvertierter.
Wer bei „3“ nicht auf dem Baum ist…
Anders als früher („Naja, der is‘ halt bissl still. Aber macht ja nix“) erfordert der vorausschauende Umgang mit introvertierten Mitgliedern heute eine entsprechende Unternehmens-Kultur.
Dies beginnt bei der Kommunikation.
Es zieht sich durch die Gestaltung der Termine.
Und es hört beim Auftreten der Führungskräfte nicht auf…
Eine Unternehmenskultur, in welcher die Mitarbeiter sich und ihre Ideen gerne einbringen, berücksichtigt das Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Charakteren. In so einem Umfeld steht ein introvertierter Mitarbeiter nicht da wie „ständig ausgebremst“, sondern eben wie „reflektiert“.
Ressourcen fördern – mit guter Planung bei Meetings
Zu viele Meetings
laufen so: Der erste fängt an zu reden. Und dann noch einer und dann der
nächste.
Und dann – irgendwann später – heißt es: „Wir haben nicht mehr so viel Zeit,
bitte fasst euch kurz.“
Zwar sind introvertierte Menschen nicht immer gleichzeitig auch schüchtern, aber ich habe eben nur sehr selten erlebt, dass ein zurückhaltender Mensch sich bei so einem Ablauf gerne und voll einbringt.
In einem Meeting, in welchem die Aufmerksamkeitsphasen realistisch geplant werden und eben nicht „der Sieg des Hinterns über das Gehirn“ (O-Ton eines CEOs) stattfindet, entsteht eben auch ein Raum der Wertschätzung für den Beitrag des Introvertierten.
Handlungs-Empfehlung für erfolgreiche Meetings:
Legen Sie möglichst schon im vorhinein die Zeit für Beiträge fest.
Besonders bei Berichten und bereits ausgearbeiteten Vorschlägen lässt sich das sehr gut voraus planen.
Als fair gilt die Vorab-Mitteilung per Mail:
„Ihr habt 10 Minuten zur Darstellung, Fragen inklusive.“
Mitarbeiter, die sich verabschieden und einen Rückblick auf ihr Lebenswerk werfen wollen oder Jubilare, sollten etwas mehr Zeit erhalten.
Mit so einem Vorgehen wird verhindert, dass für die Letzten irgend etwas zwischen 3 und 5 Minuten Zeit zur Darstellung bleibt – und sie einen nach dem anderen in die Pause verschwinden sehen.
Niemand, der
introvertiert ist, macht bei so etwas noch ernsthaft mit.
(Es sei denn, der Leidensdruck oder der Zorn oder beides sind groß genug….)
Handlungs-Empfehlung für die introvertierte Persönlichkeit:
- Geben Sie Ihren Präsentationen eine klare Struktur.
- Arbeiten Sie im Zeitungs-Modus – Das Wichtigste in Kürze zuerst, dann das Zweit-Wichtigste und dann eine Erklärung.
- Versichern Sie sich, dass Ihre Stimmführung Ihre Präsentation unterstützt.
- Ihre Körpersprache sollte zu den Distanzen im Raum passen:
Haben Sie viel Platz um sich her, sind Sie alleine vorne? Dann sollten Ihre Gesten ausladender sein. - Lassen Sie sich ja nicht einreden, dass nun mal alle dieses „Charisma-Dingens” wollen – und dass Sie das nicht haben. Es gibt eine Reihe von Persönlichkeiten, die ihre Zuschauer im Laufe der Präsentation zunehmend fesseln!
- Achten Sie darauf, ein überraschendes Ergebnis oder mit ungewohnten Worten zu präsentieren.
- Finden Sie für sich den besten Weg, Informationen schnell zu verarbeiten und entsprechend zu handeln.
Zwischen 36 und 50% der Menschen sind introvertiert, so schätzen Wissenschaftler.
Um in kurzer Zeit ihre Botschaft eindrücklich zu vermitteln, brauchen sie nicht unbedingt die Eigenschaften eines „sprühenden Charismatikers“.
Von enormem Vorteil ist es allerdings, sich bewusst zu machen, wie die eigenen Fähigkeiten und Arbeitsergebnisse begeisternd vermittelt werden können.
Das ist – ganz offen – pure Strategie. Es ist die Abstimmung der eigenen Fähigkeiten mit den Erwartungen der anderen – und dem für sie Unvorhersehbaren.
Charisma, das ist wie Sex-Appeal. Der findet, glaubt man der Erkenntnis einer italienischen Hollywood-Ikone, auch immer zu 50% in den Köpfen der anderen statt.
Es gibt keine 100%-ige Sicherheit, wenn man nicht langweilen will.
Erarbeiten Sie sich Stück für Stück Ihren persönlichen Stil, mit dem Sie sich souverän fühlen. Feedback von Kollegen oder einem professionellen Coach kann in kurzer Zeit viel bewirken. Lassen Sie sich von Ihrem Bauchgefühl und Ihrem Spaß leiten.
Sie werden merken: Ihr Vortrag zündet – auf Ihre Art.
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Autor: Patrizia Becker
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